„Schnapp dir Andi und fahrt weg“, meinte meine Kollegin vor einiger Zeit, zu meinem viel zu müden Ich, das sich nach Urlaub sehnte. Ein „Hey Andi..“ später und drei Nächte in einem Hostel, in Prag waren gebucht. Mein Andi fackelt nicht lang – er packt es an und fährt einfach los. Und das taten wir, am Freitag vor Pfingsten. Die Prise Chaos zuvor ließ ich mir natürlich nicht nehmen – der 1-€-Stoffbeutel alias „Annes Reisetasche“, riss noch an der Haustür. Mit einer großen, vollgestopften Einkaufstausche aus Hawaii und drei Oberteilen zu viel, machte ich los, zu meinem ersten Hostel-Trip.
Dutzende Songs, drei Burger und sieben Stunden Autofahrt später erreichten wir das Ziel: „The Mosaic House“*. Live sahen sie noch viel cooler aus – die großen Pilze auf dem Dach unserer Unterkunft. Wir checkten ein in „your room“, begutachteten die anderen 14 Betten, brachten unseren ersten Unisex-Toiletten-Moment hinter uns und machten uns auf den Weg in die Stadt.
Die Feierabendsonne legte sich über die Moldau – wir glaubten fest an unsere Gut-Wetter-Prophezeiung für die kommenden Tage. Der Hunger trieb uns in die Innenstadt und in so ziemlich das erst größere Restaurant, das lokale Küche anbot. Es vergingen keine zwei Stunden, seit unserer Ankunft und ich hatte einen halben Liter Bier vor mir stehen. Der Einfluss meines Reisepartners, die Vibes der tschechischen Kultur und die Lust mal aus der Reihe zu tanzen führte zu diesem Absurdum. Zum Nationalgetränk folgte ein Nationalgericht: der Böhmischer Teller. Ein Haufen Fleisch, Kraut und Knödel. Papp satt schlenderten wir weiter durch die City. Es war frisch und Andi nur im T-Shirt, also suchten wir den Weg zurück zum Hostel. Naja, wir fanden ihn nicht, stattdessen ein paar nette Herren, die uns ihre Dose Bier überließen.
Wir liefen und liefen und lachten noch mehr. Der Freitag meinte es außerordentlich gut mit uns. Irgendwann war uns warm genug, dass wir beschlossen den Pulli gegen eine Bar zu tauschen und kehrten bei James Dean ein. Rote Ledersitze, schwarz-weiße Kacheln auf dem Boden, alles im herrlichen 50er Retrolook – einschließlich der Bedienungen. Zufällig entdeckten wir einen kleinen Club im Keller, mit fetter Diskokugel, einem Käfig und – für mich Küken – uriger Ami-Musik.
Cafe 80’s Prague
Weiter ging es, wieder mit ein paar netten Herren und einer kleinen Weinverkostung auf der Straße. Wir kamen 30 Jahre später an, im 80er Cafe. Genauso geil, genauso bunt. Ein Junggesellenabschied tobte ganz vorne an der Bar. Noch einmal versuchten wir es mit der Navigation Richtung Hostel und zischten ein weiteres Bier weg (oder zwei, so genau ist das nicht mehr feststellbar). Angekommen ging die Party weiter. Das Gebäude beherbergt die Bar La Loca**, die in der Nacht zur Tanzfläche wird. Die ersten Cocktails mundeten extrem gut, die Musik brachte uns zum Zappeln. Angeheitert und ausgelassen tanzten wir bis die DJs Feierabend machten. Andi machte sich auf den Weg, um das viele Bier loszuwerden, als der letzte Song startete. Ein wunderschönes, weltbekanntes Gitarrensolo erfüllte den Raum. Plötzlich spürte ich zwei Arme, die sich von hinten um meinen Oberkörper schlangen, mit den Worten: „Ich hörte die Gitarre und musste umdrehen“. Arm in Arm wippten wir zu Pink Floyds „Wish you were here“ und genossen ein wunderbares Ende des ersten Tages.
Tag zwei startete mit der Suche nach Kaffee & Frühstück und einer viel zu warm angezogenen Anne. Auf dem Weg machten wir Halt in einem Mini Market, so ein typisch lokaler Tante-Emma-Laden, in dem man einfach alles bekommt, außer dem was wir suchten. Weiter zu Fuß, ließ uns Andis Nase anhalten – bei einer kleinen tschechischen Bäckerei. Für die Portion Gönnung am Morgen packten wir eine Zimtschnecke und ein gut aussehnendes Beeren-Schoko-Gebäckteil ein.
Stadtschönheit
„Da sind Treppen – lass uns da hin“ – beschloss der Mann. Dieser spontane, schweißtreibende Marsch schenkte uns einen traumhaften Ausblick auf Prag. Oben angekommen machten wir eine Frühstückspause und zelebrierten die köstlichen Zuckerbomben. Frei Schnauze liefen wir weiter, durchquerten einen winziges Wäldchen und kehrten zurück in die Stadt. Der Schrittzähler qualmte – zur Stärkung gab es Kaffee und einen Liter Schwarzbier. Nach meinem letzten Schluck Café Americano, nahm ich einen aus dem Bierkrug und traute meinen Geschmacksknospen kaum. Was für eine grandiose Verschmelzung aus dem kräftigen Espressoaroma und der würzigen Malznote des Biers. Ach du herrlicher Urlaub.
Mitten in der Stadt stolperten wir in ein kleines Fest. Ein dutzend Buden waren aufgebaut, an denen die kreativen Köpfe aus der Gegend ihre Werke verkauften. Auf der anderen Seite fand man exotische Gerichte, frisch gemahlenen Kaffee, Wein und Bier. Und eine kleine Bühne, auf der junge Musiker ihr Talent zum Besten gaben. Mit einem Balkan Burger setzten wir uns auf die Straße, betrachteten das bunte Treiben, lauschten der Band und groovten mit.
Eine Tripadvisor Empfehlung führte uns in das von außen völlig unscheinbare Lokal Ferdinanda. Die Speisekarte war mit Zeichnungen von Figuren aus Kindermärchen verziert und originellen Menüs gefüllt. Hähnchen mit Pflaumen und Mandeln orderte ich, mit meinem ersten Glas Wein auf diesem Trip (deutscher Riesling versteht sich). Kalorien verbrannten wir auf dem Weg zur kleinen Insel Kampa, die mitten in der Stadt wohnt.
Wie alle anderen braven Touristen besuchten auch wir die berühmte und stark besuchte Karlsbrücke. Mich dürstete es nach einem Sonnenuntergang, so bestiegen wir den nahegelegenen Altstädter Brückenturm und warteten.
Treppen steigen lohnt sich
Der Plan für die Nacht waren Bars. Halt Nummer eins war die Hemingway Bar, von der ich Gutes gelesen hatte. Viele andere vermutlich auch, denn sie war wegen Überfüllung geschlossen. Eine Ecke weiter lud uns ein milchbubiger Türsteher in „seine“ Bar ein. Unsere Erwartung an den bestellten Mojito waren hoch und blieben unerfüllt. Die Qualität unseres Gespräches versüßte uns jedoch diese Enttäuschung. Eine wunderbare Erkenntnis, dass man das richtige Menschlein eingepackt hat.
„Irgendwo muss doch ein Schuppen sein, in dem man zappeln kann“ – grübelten wir über unseren Drang zu eskalieren. Ein paar Straßen weiter füllten sich unsere Ohren mit feinen elektronischen Beats. Wir passierten das Tor des Hard Rock Cafe Prague und hüpften vor Freude. Mutig und durstig wie wir waren, orderten wir noch zwei Mojito. Mit dem ersten Schluck entglitten uns beiden Mal kurz alle Gesichtszüge – das war kein Cocktail, sondern ein Killer. Ganz freundlich baten wir um etwas Zucker an der Bar – Druckbetankung war nicht unser Ziel. Die kurze Blonde hinter dem Tresen reagierte gelassen. Wir allerdings weniger als sie die Bacardi Flasche in unsere Gläser kippte. Okay, das wird ein interessanter Abend. Mutig und durstig wie wir waren, tranken wir und lächelten. Was auch immer sie da rein schüttete – es schmeckte und zwar gut. Der DJ – ein golden Oldie mit Charme und ner Menge Rock im Blut – heizte uns ein. Noch ein bisschen spannender wurde es, als die erwähnte Barkeeperin sich auf den Tresen schwang und ala „Coyote Ugly“ den Rachen ihrer Gäste, mit dem Inhalt der erwähnten Flasche, füllte. Widerstand war zwecklos – ist klar oder? Zurück im Hostel, feierten wir weiter, auf der 2000er Party, bis uns die Putzkolonne ins Bett schickte.
delicious wine, what else?
Was wir am Samstag verpennten, holten wir an Tag drei dann nach: den Wochenendmarkt. Den klassischen Lebensmittelmarkt fanden wir nicht, dafür eine Reihe bunter Buden, an denen man sein Geld für Krimskrams loswerden konnte.
Mein Bock auf Kultur führte uns in die National Gallery Prague, zur Ausstellung von Jiří Kolář: Grimace of the Century. Völlig ohne Ahnung und Erwartungen schlenderten wir über eine Stunde durch eine große Altbauwohnung mit kunstbehängten Wänden. Eine Reihe von Collagen über Ereignisse, Menschen, Worte, Zahlen, Gedanken. Geistig beflügelt und hungrig machten wir Halt für ein Bier, beim Italiener und dann bei einem tschechischen Baumstriezel, auch Trdelnik genannt (nicht, dass ich das aussprechen könnte).
Ein echtes Highlight wurde unsere erste richtige Mahlzeit an diesem Sonntag. Im Hinterhof eines lokalen Restaurants nahmen wir Platz, orderten unseren Lieblingscocktail, etwas Typisches vorweg und Fleisch. Die Vorspeise verzauberte uns: eine klassisch tschechische Gulaschsuppe, in einem ausgehölten Brotlaib. Absolut großartig! Das perfekte Herbstessen (im bevorstehenden Sommer).
traditionell & genial
„Bar Hopping Teil drei“ besagte das Programm des letzten Abends. Bei der zweiten „must visit“ Bar – Anonymous Bar – hatten wir wieder Pech: voll. Weiter ging die Suche nach Einkehr. „Hörst du das? Rein hier!“ Und wir tauchten ein in grünes Licht und erforschten, die mit Stickern tapezierten, Wände der Bar 1401. Auf ein Getränk schauten wir noch mal bei James Dean vorbei. Cocktail und Musik waren diesmal lasch und nicht fähig uns aus unserem Energietief zu holen. Also Locationwechsel.
Wieder lockte uns die Musik. Es war Chad Kroegers rauchige Stimme, die uns eine Treppe hinabführte, direkt in die Höhle des Rock***. Ein dunkler, abgefuckter Schuppen, umgeben von bezaubernder harter Melodie. Wir waren im Himmel und sehr schnell an der Bar. Noch schneller hatte ich plötzlich eine, mit Käse gefüllte, tschechische Bockwurst in der Schnute. Angebot des Abends, vom dezent verdorbenen Barkeeper des Abends. Die Getränke liefen gut (zur Abwechslung gabs Bier & Mojito). „Heute aber nicht so spät! Wir fahren morgen heim.“ – versprachen wir uns. Wirklich spät kam uns 02:40 Uhr nicht vor, für die Nachtruhe allerdings schon sehr. Ein Glück war im Hostel lazy sunday, sodass wir ohne Umschweife direkt Richtung Bett marschieren konnten.
Montagmorgen, der Tag der Abreise. Ohne Kaffee würden wir nirgendwo hinreisen, also tigerten wir noch einmal los und fanden das schnucklige, kleine Kafe v Klidu. Es fühlte sich an wie in einem Wohnzimmer und schmeckte wie bei Mutti. Ein perfekter Start in den letzten Urlaubstag.
Coffee time
Erschöpft aber glücklich machten wir uns wieder auf den Heimweg. Zugegeben, die Erholsamkeit haben wir irgendwie vergessen. Umso mehr Erinnerungen haben wir getankt. Prag ist ein Schmaus für Gaumen und Augen, eine Oase zum Feiern, ein Muss für Stadtkinder und Bierliebhaber. Lebendig, vielfältig und wunderschön. Viel zu viel gibt’s noch zu erleben und zu probieren, als das der letzte Besuch sein kann. Ein abenteuerlicher und unvergesslicher Trip.
„Hey Andi, danke.“
*Heute ist das Mosaic ein reines Hotel, ohne Hostel
** Heute leider nicht mehr
***Dieser Laden ist (rückblickend) unauffindbar. Es war auch wirklich spät und dunkel. Sehr dunkel!
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