„Ihr Wunsch für zu Hause?“
„Genau das hier.“
Freude durchzuckt sie spürbar. Fest drückt sie meine Schulter, ihre Art mich zu umarmen. Vielleicht bremst sie die berufliche Professionalität vor einer richtigen Umarmung, vielleicht Corona, vielleicht ist es wirklich nur ihre Art. Die Frau von der ich spreche ist die Ärztin meines Sohnes. Dreieinhalb Wochen lang hat sie seine Haut begutachtet und behandelt. Dreieinhalb Wochen Spezialklinik sind zu Ende.Im Juli erhielten wir den Tipp mit der Spezialklinik in Neukirchen. Ich habe keine Ahnung mehr was im Juli war, außer dem Ende unserer Nerven. Anfang August gab es die dritte Ladung Antibiotika in diesem Jahr, die wiederholte Konsultation von zwei Hautkliniken, einem Hautarzt und einer Kinderklinik. Alle sagten dasselbe, als sie in das superinfizierte Gesicht meines Kindes blickten: Kortison. Da hilft nur Kortison. Ja genau. Nach monatelangem Ausprobieren durften wir bereits feststellen, dass Kortison bei uns nicht hilft. So ging es nicht weiter, wir brauchten eine Lösung. Kortison sie nämlich nicht! Und so recherchierte ich zu der Klinik namens „weit weit weg von zu Hause“. Sie war einer der letzten Strohhalme. Kaum waren die schlimmen Bilder von meinem kleinen Patienten verschickt, kam die Zusage zur Aufnahme. Super frisch verheiratet ließ mich mein Mann dort zurück, ohne zu wissen was dieser Weg für uns bereithält.
Nun stehen wir am Ende dieses Weges. Ich blicke zurück auf 23 Tage voller Sonnenschein und Ruhe. Das wunderschöne Gesicht meines Sohnes ist zurück. Ich darf ihn ansehen und wirklich ihn sehen. Er strahlt mich an, sobald er morgens, noch schlaftrunken und zuckersüß, auf dem Bett sitzt. Er hat die Sonne in seinem Herzen und sie lacht, jeden Tag. Das haben die Schwestern immer wieder genossen, während ich vor Stolz beinahe geplatzt bin. Wir durften mit einem tollen Ergebnis nach Hause zurückkehren. Jede rote Stelle an seinem Körper heilt. Sein Kratzenverhalten hat sich deutlich verbessert. Oft ist es „nur“ noch ein antrainierter Reflex, wenn die Welt mal wieder hundsgemein zu ihm ist. Er sitzt jetzt, ganz allein und ohne Mühe. Sogar mitten in der Nacht – in seinem eigenen Bettchen. Ein weiterer Erfolg! Irre was sich innerhalb drei Wochen in so einem kleinen Menschlein alles entwickelt. Familie und Freude dürfen staunen 🙂
Neukirchen ist ein sehr idyllisches Fleckchen und hervorragend geeignet um nichts zu tun. Und genau das habe ich getan. Eines Nachmittags fand ich eine Bank, direkt am Feld, unter einer großen Linde, mit herrlichem Ausblick in die kleine Berglandschaft Neukirchens. Auf dieser Bank habe ich losgelassen. Sorgen, Angst, Altlasten und Druck. Ich habe ausgemistet, den Papierkorb gefüllt, bin runtergefahren und habe neu gestartet. Ich bin zur Ruhe gekommen. Das sind Noah und ich, gleich auf mehreren Ebenen.
Dann die Mamas und ihre kleinen Räuber. Eine tolle Gemeinschaft durfte ich erleben, eine angenehm vertraute Atmosphäre unter Gleichgesinnten. Der tägliche Austausch über das gemeinsame Leid und die Motivation zum Durchhalten, während unsere Kinder den Flur verwüsteten. Es war toll und es fehlt mir. Das ist das weinende Auge. Gemeinsam leidet es sich wirklich leichter. Das Maß an Verständnis, unter uns Neuro Mamas, war eine sehr erleichternde Erfahrung.
Die Zeit ganz allein mit meinem Bubi war großartig, so wie ich es mir gewünscht hatte. Wir haben richtig herrlich gekuschelt, geschlummert, gebubelt, gespielt, entdeckt, gelacht und Faxen gemacht. Die Momente, in denen ich ihn aus seiner Maske packen durfte, die heimlichen Beobachtungen, wenn er etwas Neues lernte und fleißig übte. Viele verliebte Blicke von einer Mama, die ihr Kind einfach Kind sein lassen konnte. Ohne permanentes Einschreiten, um die Hände festzuhalten, ohne anflehen mit dem Kratzen aufzuhören. Mit jedem Tag wurde es ein bisschen besser. Mit Freudentränen habe ich meinen Ehemann, nach fast einem Monat, empfangen, als er an die Tür klopfte um uns nach Hause zu holen.
Seit zwei Wochen sind wir nun wieder zu Hause. Ein strenger Diät- und Cremeplan, plus Wasch- und Putzmarathon für unser Sensibelchen, halten uns gut auf Trab. Die Behandlung ist noch nicht vorbei, so wenig wie die Neurodermitis. Was wir jetzt haben ist Gewissheit, einen Fahrplan und Notfallmaßnahmen. Neukirchen hat mich einiges gelehrt und uns ordentlich voran gebracht. Jetzt heißt es Durchhalten. Und das werden wir. Schon jetzt ist unser Alltag nicht mehr derselbe. Wir sind noch nicht am Ziel, aber auf einem super Weg. Schon jetzt dürfen wir ein klein bisschen „normales“ Familienleben genießen. So todmüde ich abends auch ins Bett falle, so chaotisch es auch aussehen mag, so oft ich Noah auch beobachten muss, damit er nicht vom Bobbycar fällt, alles scheiß egal. Wir haben unser Baby zurück. Ich bin glücklich, ich bin dankbar und voller Hoffnung.
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