„Klick“ und der Verschluss vom Helm rastet ein. Linker Fuß auf die Fußraste, an seinen Schultern abstützen, ansetzen und schwungvoll das rechte Bein über den Sitz heben. Platz nehmen, die Hände um seinen Bauch legen, festhalten und los geht’s.
Hui, fühlt sich gut an.
Er schaltet und wird schneller – oh wow okay. Anne, du sitzt wirklich auf einem Motorrad!
„Gar keine Geräusche? Ist ja langweilig!“ lacht er mich, mit kurzem Blick über die Schulter, an.
Vorsichtig, abwartend wie ich reagiere fährt er durch den Ort. Im ersten Kreisverkehr fällt mir wieder ein: „Oookay jetzt schön entspannt bleiben“. Eine kurze Gerade weiter, dann rechts abbiegen und die erste Landstraße ist vor uns zu sehen. Kuppeln, schalten und Vollgas. Mein Hintern spannt sich an, meine Hände klammern sich fest, Wind fegt durchs offene Visier, meine Augen tränen, mein Herz rast, mein Kopf beginnt zu fliegen.
„SCHEIßE! Nochmal!“
Der Beginn eines wunderbaren Montag.
Ein paar Mal hatte ich Angst Verspannungen im Gesicht zu bekommen, vor lauter Grinsen. Jedes Mal wenn sich Gelegenheit vor uns auftat, für ein Überholmanöver, wusste ich „JETZT festhalten und loslassen“. Mit dem Überschreiten der 100 km/h löste sich jede Entspannung in meinen Muskeln, sämtlicher Ballast flog davon.
Andi, ich vertraue dir. Vollständig.
Das entscheidende Detail – Vertrauen. Nicht nur um der physischen Sicherheit willen, ohne dieses Maß an Vertrauen wäre ich nicht in der Lage gewesen mich fallen zu lassen und es wirklich zu fühlen – frei sein.
24 Stunden zuvor kämpfte ich gegen den Drang an, die Spritztour abzusagen. Die Woche hatte schwer an mir genagt, zahlreiche Tiefs schwächten mich, ich fühlte keine Kraft mehr meinen Keller der Dunkelheit zu verlassen. In einer hellen Stunde vereinbarte ich das Treffen mit Essen, Moped und meinem Gute-Laune-Lieblings-Andi. Ich wusste mir würde das gut tun, ich wusste ich werde das brauchen, ich wusste wenn ich erst in einem Loch stecke, komme ich ohne fixe Verabredung nicht wieder raus. Intuitiv alles richtig gemacht. Dem Gewissen schulde ich Dank, für kein spontanes Canceln. So landete ich also am Ostermontag auf dem Sitz einer hübschen, blau befelgten Rennmaschine, versteckt in einer viel zu großen, aber irre coolen Lederjacke.
Was strahlte wohl mehr – die junge Frühlingssonne oder mein inneres Licht?
„Fuck Yeah!“ schrie ich in meinen Helm. Immer wieder.
Immer wieder hielt ich inne, hörte meinem Körper zu und fühlte die totale Gelassenheit. Alles was mich die vergangenen Tage aufwühlte, an meinen Nerven zehrte, verblasste im frischen Wind.
Wir hielten an einer Kreuzung, ich schaute auf das Schild rechts von mir, las die Worte darauf und stellte fest, dass es mich gar nicht interessierte wo wir waren, oder wo es hin ging. Die Uhrzeit, der Ort, der morgige Tag, der vergangene, all die ungelesenen Nachrichten auf dem Handy – es wurde belanglos. Für die Stunden, die wir über die Straßen heizten, war ich befreit von Druck, Verantwortung und Last. Ich war frei. Ich bin es, immer noch.
Manchmal findest du etwas, von dem du nicht wusstest, dass du es suchst. Manchmal suchst du etwas, von dem du nicht wusstest, dass du es gar nicht brauchst. Manchmal verlierst du, manchmal gewinnst du.
Meine letzten Gedanken zum Thema „Freiheit“ machten mir Angst. Ich konnte nichts anfangen mit diesem Wort, dieser Übermacht. In den vergangenen zwei Wochen habe ich gelernt, dass nicht alles wovon man sich befreit, tatsächlich Freiheit mit sich bringt. Nicht alles was nach Freiheit aussieht, ist es auch. „Frei sein“ kann sehr einsam sein. Ich habe ich gelernt, dass Freiheit individuell und wandelbar ist. Dass sie nicht allein zelebriert werden muss, dass man sie auch mal scheiße finden kann, ohne ihr den Rücken zu kehren.
Ich habe mich befreit von Lügen, Geheimnissen, vom Wunsch gefallen zu wollen.
„Anne, du kannst jetzt tun und lassen was immer du möchtest.“ Du darfst Impulsen folgen, verrückt sein, laut sein, schweigend genießen.
Du darfst sein.
Die bisher schönste Erkenntnis in diesem Jahr. Hinzu kommt die Tatsache, die mein Herz endlich erreicht hat: Ich bin nicht allein. Nur einen Anruf entfernt, ist jemand der mich auffängt und festhält. Das Vertrauen darin hatte ich verloren. Nähe zulassen und annehmen funktionierte nicht mehr. Die frische Ungebundenheit verwirrte mich zutiefst. Nachdem ich fähig war auch die letzte meiner Fesseln zu erkennen und zu lösen, machte sich Gelassenheit breit. Ich erkannte, dass .die Menschen an meiner Seite wahrhaftig an meiner Seite stehen. Sie bleiben und helfen mich wieder aufzubauen. Sie nehmen mir die Angst, öffnen mir die Augen für die Welt, schenken mir so viel von ihrem Vertrauen, dass meines wieder beginnt zu wachsen.
Dieser Montag ist beinahe eine Woche her. Er war wichtig. Ein kleiner Meilenstein auf meiner Reise. Schließe ich meine Augen, spüre ich noch immer den Wind, der meine Nase kitzelt. Öffne ich meine Augen, sehe ich noch immer die Strahlen der Sonne, rieche den warmen Duft der Zuversicht. Die Dunkelheit ist noch nicht besiegt, eine Wahrheit, die mir etwas weniger Sorgen bereitet. Denn, ich fühle mich ein klein bisschen weniger einsam.
„Can you imagine?“
Ja.
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